Kreuzberger Gentrifizierung
oder
Die Oranienstrasse – Pasta, Bubble Tea und Frau Fenster

Nach dem CSD in Berlin wollte ich noch nicht direkt nach Hause gehen – weil ich wirklich hungrig war und dringend etwas essen musste. Super, dass ich in der Oranienstrasse in Kreuzberg wohne, wo sich ein Restaurant neben dem anderen befindet, aufgelockert durch einige Cocktailbars und einigen Läden.

Nun sagt man ja, dass eine Strasse so lange gesund ist, solange es in ihr Blumenläden und Bückerläden gibt. Beides gibt es in der Oranienstrasse und die Cocktailbars sind deutlich nicht so hipp, wie im Prenzlauer Berg. Auch ein typisches Latte Machiato Café gibt es (noch) nicht und selbst das einzige Spielcasino der Oranienstrasse hat jüngst Dicht gemacht.

Alles in Allem bin ich also mit meiner Strasse sehr zufrieden, wenngleich sich erste gentrifizierungsvorzeichen nicht leugnen lassen. Da kommt schon mal die polizei in meine Stammbar, weil sich ein Nachbar über die Musik beschwert oder man sieht dort seit längerer zeit auch den ersten Bubble Tea Laden, der mir in berlin aufgefallen war. Ein unschweres Zeugnis von Gentrifizierung… oder?

Nun ich auf jeden Fall checkte in meinem Kunstrasen CSD Outfit in einen Pasta und Pizza Laden direkt neben dem Bubble Tea Laden ein und lernte meine Strasse etwas näher kennen, ausgerechnet von der Besitzerin des Bubble Tea Ladens. Ich setzte mich nämlich nach draussen und wartete schmerzenden Fusses auf meine Pasta, als sie , die direkt daneben vor ihrem Laden sass, rüberrief, sie wolle ein Foto von mir in meinem Outfit vor ihrem Laden machen.

Klar, ich sage ja nie nein zu einem Foto, schon garnicht, wenn dafür mein CSD Outfit herhalten darf, also setzte ich mich zu ihr als Lohn einen Bubble Tea ausgegeben – garnicht übel, wenngleich doch ein teurer Tee, aber egal, wir kamen auf jeden Fall ins Gespräch, über die Strasse und unser beiden Gründe, gerade in der Oranienstrasse zu sein.

Mit meinem Bild der Oranienstrasse vor 27 Jahren und dem suchen auf diesem Bild, was sich davon noch so wiederfinden liesse, kamen wir auch auf das Thema Gentrifizierung mit all den dazugehörigen Problemen, wie eben auch bubble Tea Läden… 🙂

Auf meine Frage, ob sie denn nicht meint, ein Teil dieses Problems zu sein, meinte sie „Ja schon, aber“ und ich muss zugestehen, dieses „Aber“ hat mich einigermaßen überzeugt. Mitnichten hat sie sich nämlich irgendwann gedacht „Mach ich doch mal nen Bubble Tea Laden auf und überzeuge den Hauseigentümer, mit einer dann höheren Miete, den bisher ansässigen Friseur rauszuklagen…

Falsch. Ihr Freund, ist der vorherige Friseur, dessen Laden sich aber nicht mehr wirklich rechnete und über kurz oder lang vorm Ende war dann überlegten sich beide, was das bedeutet und wie es wohl weitergehen könnte. Sie kamen auf das Thema Bubble tea und verfrachteten das Friseur Interieur dorthin, wo es nun auf das Ende des Bubble tea Booms wartet und jederzeit wieder ausgemottet werden kann um den jetzigen Bubble Tea Laden vielleicht wieder in einen Friseursalon zu verwandeln. Möglich zumindest wäres es.

Sie konnte mich auf jeden fall übverzeugen, dass ihr etwas an dieser Strasse liege und wie gesagt, sie sind nicht neu, sondern als Inhaber länger dort ansässig als ich – und als Weiterhin-Mieter tatsächlich sogar dafür zuständig, dass mindestens eine Miete eben nicht gestiegen ist. Eigentlich hat sich nur der Name und Inhalt des Ladens geändert, sonst nichts. Auch nicht der Zusammenhalt der Läden untereinander, der weiterhin klasse sei, wie ich auch erkennen konnte, als mir meine Pasta direkt zum Nebenladen gebracht wurde, vor dem ich ja nun schon eine Weile saß.

Dabei konnte sie mir auch gleich ein nettes Beispiel nennen, dass diese Strasse eh einen viel größeren Zusammenhang habe, als man in einer gentrifizierten Strasse gemeinhin erwarte, sie zeigte auf die andere Strassenseite, wo eine ältere Dame aus dem ersten Stock schaute und von Mädels, die offensichtlich gerade nach hause kamen als „Hallo Frau Fenster“ begrüsst wurde.

ich hatte Frau Fenster durchaus auch schon mal gesehen, wirklich aufgefallen wäre sie mir aber nicht, auf jeden Fall ist – wie ich nun bestätigen kann, Frau Fenster nahezu ständig am Fenster zu sehen und allen Menschen der Umgegend als „Frau Fenster“ bekannt.

Nun fiel es vor einiger zeit schnell auf, dass Frau Fenster bereits einen zweiten Tag nicht am Fenster war und Läden sowie Nachbarn machten sich Sorgen, sodass sie tatsächlich die Feuerwehr riefen, die herausfand, dass die ältere dame in der Wohnung schwer gestürzt war und tatsächlich Hilfe benötigte…

Ganz ehrlich, eine Strasse mit einer Historie wie der Oranienstrasse, mit Bücher- und Blumenläden, mit Läden, die lieber etwas neues probieren, als die Strasse zu verlassen und einer Nachbarschaft, die noch merkt, wenn Nachbarn auf einmal nicht da sind, ist weit weg gentrifiziert zu sein. Ich mag meine Strasse …

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  • Ich stimme Dir zu so richtig gentrifiziert ist die O-Strasse noch nicht. Als guten Gentrifizierungsindikator hab ich mittlerweile die Berliner Zeitung entdeckt. Wer öfter mal hier in dementsprechenden Kontexten auftaucht ist bald weg :-( So wars bei der Brunnenstr., der Liebig oder beim Tacheles. Ich wünsche Dir, dass Du nicht so schnell weg gentrifiziert wirst wie die eben genannten.